IN DER MISOSUPPE - von Ryu Murakami - Rezension

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IN DER MISOSUPPE - von Ryu Murakami - Rezension

Beitragvon rené keller » 21.04.2007, 12:26

Misosuppe habe ich bisher noch nicht gekostet, kann mir jedoch nicht vorstellen, dass diese schwerer verdaulich ist, als dieses Geschichte vom 1952 in Sasobo geborenen Ryu Murakami, nicht verwandt und nicht so bekannt wie Haruki Murakami.
Der Amerikaner Frank lässt sich in den 3 letzten Tagen des Jahres vom 20-jährigen Kenji durch das Rotlicht-Milieu Tokios führen. Für Kenji, der im „Tokio Pink Guide“ seine Dienste als Erotik-Fremdenführer anbietet, scheint Frank ein Durchschnittskunde zu sein. Nach einigen Widersprüchen bekommt er dann den Eindruck als hätte er „etwas so Falsches an sich, dass seine ganz Existenz wie erfunden zu sein scheint“. Frank, von einer schutzbedürftigen Niedergeschlagenheit und Melancholie, wirkt gleichzeitig psychotisch und bedrohlich. Kenjis Unbehagen steigert sich von Seite zu Seite bis die Situation ungefähr in der Mitte des Buches in einer alptraumhaften Gewaltorgie eskaliert. Franks anfängliche Unsicherheit und Tölpelhaftigkeit weicht einer ungeheuerlichen Brutalität und seine plötzliche Ueberlegenheit weist dämonische Züge auf. Diese Kurzszene wirkt wie mit dem Skalpell geschrieben, gestochen scharf, kühl und distanziert und von erschreckender Intensität, so dass man geneigt ist, nochmals zurückzublättern um sich zu vergewissern, dass man das jetzt auch wirklich gelesen hat. Im dritten Teil des Romans wird beschrieben, wie Kenji, durch die Ereignisse narkotisiert und auf dem besten oder schlechtesten Weg, den Verstand zu verlieren, versucht das Erlebte zu verstehen, das Unfassbare zu fassen. Trotz allem bleibt er aus Angst und Konsternation weiterhin an Franks Seite und lässt sich aus dessen traumatischer Kindheit in Amerika erzählen. Dieser erklärt ihm, woher die Narben an seinen Handgelenken herstammen und wie er sich nach und nach zu dem wurde, was er ist. Gekonnt gelingt es Ryu Murakami am Ende trotz allem, Sympathie für dieses menschgewordene Ungeheuer zu empfinden, der Leser erschrickt dabei vor sich selbst, die Leere und Einsamkeit beider Protagonisten wird fühl- und spürbar. Interessant auch, wie die beiden Kulturen Japans und Amerikas aufeinanderprallen, beide mit der ihr eigenen Art von Dekadenz und Hedonismus.
Wer mehr von diesem Murakami möchte, kann sich auch seine Bücher „Blaue Linien auf transparenter Haut“ und „69“ besorgen oder sich die Filme „Tokio Dekadenz“ oder „Coin Locker Babies“ mit Val Kimer und Liv Tyler ansehen. Misosuppe, wie schmeckt die wohl?





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