POPULAER MUSIK AUS VITTULA - von Reza Bagher - Filmkritik

[rené keller]

Der 1958 im Iran geborene Regisseur Reza Bagher hat den gleichnamigen Bestseller von Mikael Niemi 2004 in Szene gesetzt. Der Film spielt in der nördlichen Ecke Schwedens, nahe an der Grenze zu Finnland und erzählt die Geschichte der beiden Freunde Matti und Niila, welche in Vittula aufwachsen und dort zusammen die Pubertät verbringen. Vittula, ein ödes Dorf, in dem die Asphaltierung der Hauptstrasse vom Sensationswert her der ersten Mondlandung gleichkommt. Auf ihrem Weg begegnen sie einigen kuriosen Gestalten: Unter anderen einem schmuddeligen Strassenhändler mit Schottenrock und pädophilen Neigungen, einem beleibten liebestollen Weibsbild (von dem Matti bei einer Hochzeitsfeier entjungfert wird) oder dem muffelig-hippiesken Bart- und Wollpulloverträger und Musiklehrer Greger, welcher ihnen durch eine gewonnene Wette die ersten Musikinstrumente besorgt (er schlägt dabei mit seinem Fahrrad den Schulbus in einem Strassenrennen). Figuren, welche in ihrer Absurdität und Schrägheit an Fellinis Charaktere erinnern. Wie in nordischen Filmen üblich, wird auch hier gesoffen, geprügelt und geflucht, dass sich die Elche gruseln! Köstlich die Initiierung des 10-jährigen Niila, der von einer Freundin von Mattis älterer Schwester erst alkoholisiert und dann in die Welt des Zungenküssens eingeführt wird. Diese Erfahrung gibt er in einer Scheune etwas später prompt an Matti weiter. Drollig die erste Berührung mit Rock’n’Roll, als einer der beiden von seinem Cousin aus Uebersee eine Vinylscheibe geschenkt bekommt und unbeholfen den Titel als „Rosk’n’Roll Musis“ entziffert. Sogleich rennen die beiden Freunde zum nächsten Plattenspieler, legen aufgeregt die Nadel auf die Rille und erleben ein mystisches Erlebnis (für mich die stärkste Szene des Films !): „Just let me here some of that Rock’n’Roll Music“ gesungen von The Beatles dröhnt aus den Lautsprechern; das Zimmer dreht sich wie ein verrücktgewordenes Karussell immer schneller und schneller, gleichzeitig mit der Musik dröhnt das Geräusch eine startenden Düsenjets, Matti und Niila sperren die Münder so weit auf, dass darin einer junger Elch verschwinden könnte, bis sie durch die rohe Energie dieser Musik dann bildlich an die Wand geklebt werden, so wie beim Al-Dente Spagettitest! Klar, dass einige Zeit später unter der bereits erwähnten Mithilfe des Musikpädagogen Greger die erste Band gegründet wird. Als Vorbereitung dazu dient allerdings erst ein Playback Luftgitarrenspiel im Klassenzimmer, welches sie mit der Bestnote meistern, die Mitschüler sind begeistert. Diese lustigen Szenen stehen in extremem Gegensatz zur festgefrorenen Landschaft, und den darin lebenden archaischen Menschen, deren Aussenseitertum sich auch in ihrer Minderheitensprache Meänkieli niederschlägt. Niila wird wegen Banalitäten dauernd von seinem Vater brutal verprügelt (da hatte es der Michael mit seinen Holzmännchen und seinem Schuppen vergleichsweise luxuriös!), die schwedisch-finnische Traurigkeit und Melancholie des Nordens ist immer mulmig-flau fühlbar und die beiden Busenfreunde gehen am ende des Films getrennte Wege, metaphorisch für den Abschied von ihrer Jugendzeit. Um den Zuschauer dennoch mit einem guten Gefühl zu entlassen, verrät der Regisseur ganz am Schluss die Methode, wie man sich auf dem Himalya, mit den Lippen am Boden festgefroren, am effektivsten wieder aus dieser misslichen Lage befreien kann! Wie dies geht, wird hier nicht verraten: Einfach Film anschauen (nicht vorspulen) und gut aufpassen! Man weiss ja nie … !